FALLSTUDIE

Wenn Löwen die Norm sprengen

Einblicke in ein einzigartiges Metallbauprojekt

Ein ungewöhnlicher Lastfall

In einem anspruchsvollen Projekt wurde für einen bekannten Zoo in Süddeutschland ein neues Löwengehege geplant. Ziel war es, den Besuchern eine sichere und dennoch beeindruckend nahe Möglichkeit zu bieten, die Löwen zu beobachten.

Dabei stieß man jedoch schnell auf unerwartete Herausforderungen: Ein lokal ansässiges Metallbauunternehmen wurde mit der Herstellung der Absperrungen aus Metall und Glas beauftragt – eine Aufgabe, die durch die außergewöhnliche Größe und das Gewicht des dortigen Löwen zu einem echten Kraftakt wurde. Denn wie sich zeigte, gibt es in Deutschland Situationen, in denen die üblichen Normen an ihre Grenzen stoßen – da es hier tatsächlich keine normativen Ansätze für Lasteinwirkungen gibt.

Dieser Beitrag beleuchtet die Planung, die technischen Details und die intensive Kommunikation zwischen den beteiligten Parteien: Metallbauer, Bundesverband und Auftraggeber (Zoo).

Projektbeschreibung

Es gibt keine normativen Lastansätze für Strukturen dieser Art. Es galt, sich am akzeptierten Stand der Technik zu orientieren. Der Metallbauer hatte die  Aufgabe, Berechnungen für ein sehr großes Freigehege mit Glaselementen zu erstellen und hat sich an den Bundesverband gewandt.

Das neue Löwengehege wurde gestaltet, um den Zoobesuchern eine sichere und zugleich bequeme Möglichkeit zu bieten, die Löwen aus nächster Nähe zu bestaunen. Ein Metallbauunternehmen übernahm den Auftrag, stabile Absperrungen aus Baustahl und stoßsicherem Glas zu konstruieren.

Besonders wichtig war dabei, das außergewöhnliche Gewicht und die Größe des Löwen zu berücksichtigen, da dieser ein besonders imposantes Exemplar ist. Die Konstruktion musste so ausgelegt werden, dass sie den enormen Kräften eines 350 kg schweren Löwen problemlos standhalten kann. Davon ausgehend hätten enorme Anpralllasten durch den Löwen angenommen werden müssen, da von einem 3-fachen des Körpergewichts ausgegangen werden muss. Nach eingehender Recherche fiel allerdings auf, dass ein Löwe selten schwerer als 250 kg werden kann. Der Zoo hat seine Angaben korrigieren müssen und wir haben die Berechnungen mit dem Maximalgewicht von 250 kg durchgeführt.

Ein besonders skurriles Detail war die Berechnung der Konstruktion. Der Zoo sprach von der “Anlehnlast” des 350 kg schweren Löwen – als würde sich das mächtige Tier gemütlich ans Geländer lehnen. In den Berechnungen geht man eher von dynamischen Stößen aus.

Technische Anforderungen

  • “Löwenanprall” mit horizontaler Last (3-faches Gewicht des Löwen)
  • Angenommene Lastverteilfläche von 200 x 200 mm (in Anlehnung an DIN 18008-4)
  • Anpralllast mit einem Teilsicherheitsbeiwert von 1,5
  • In diesem Fall eher weniger maßgebend: Die horizontale Nutzlast von 1,0 kN/m durch Personen und Windeinwirkungen

Normen und Richtlinien

Während der Planungsphase stellte sich heraus, dass es Unklarheiten bezüglich der anzuwendenden Normen gab, da es faktisch keine gibt. Es gibt keine normativen Lastansätze, die herangezogen werden konnten. Diese mussten mit den Fachexperten der Branche im Vorfeld aus ähnlichen Projekten abgeleitet werden, um die Sicherheit der Konstruktion zu gewährleisten. Der ausführende Metallbauer ist bereits Stammkunde des Statikservice des Bundesverband Metall und hat aufgrund sehr guter Erfahrungen sofort wieder auf die Tragwerksplaner des Bundesverband Metall zurückgegriffen. Informationen zum Statikservice kann man über die Webseite „MetallPortal“ erhalten.

Die oben erwähnte Stoßlast basiert auf Ansätzen vorhergehender Projekte. Die Bemessung erfolgte in Anlehnung an DIN 18008-4 (Glas) und DIN EN 1993-1 (Stahl). 

DIN EN 1993-1 (Eurocode)

DIN EN 1993-1 ist der Eurocode (Eurocode 3) für die Bemessung und Konstruktion von Stahlhochbauten. Er behandelt die allgemeinen Regeln für die Bemessung und Konstruktion der Bauwerke und Bauteile.

DIN EN 1993-1-1 ist der erste Teil dieser Normenreihe und befasst sich mit den allgemeinen und grundsätzlichen Bemessungs- und Konstruktionsregeln.

DIN 18008-1,2,4

Die Norm DIN 18008 regelt die Bemessung und Konstruktion von Verglasungen im Bauwesen. Sie gibt klare Vorgaben zur Lastannahme und Bemessung von Glasbauteilen und deren Befestigungen.

Diese Norm ist entscheidend, um die Tragfähigkeit, Stoßsicherheit und Resttragfähigkeit von Glasstrukturen zu garantieren, sei es bei Fassaden, Überdachungen, Balkonen oder sonstigen Verglasungen. Sie definiert die notwendigen Anforderungen und Prüfverfahren, um geforderte Sicherheitsstandards bei normaler Nutzung zu erfüllen.

Bei absturzsichernden Verglasungen ist insbesondere die Teilnorm DIN 18008-4 einzuhalten.

DIN EN 1090-2

Die Norm DIN EN 1090-2 legt die technischen Anforderungen für die Ausführung von Stahltragwerken fest. Sie ist die eingeführte technische Baubestimmung für Metallbauer, um sicherzustellen, dass Konstruktionen den geltenden Sicherheits- und Qualitätsstandards entsprechen.

Die Norm umfasst Aspekte wie die Materialwahl, Herstellungsmethoden, Qualitätskontrollen und Dokumentationen. Durch die Einhaltung dieser Richtlinie wird die Zuverlässigkeit und Langlebigkeit der Konstruktionen gewährleistet.

Ausführung der Stahltragwerke

Es kamen präzise gefertigte Stahlkomponenten zum Einsatz, die den besonderen Belastungen Löwenanprall im Gehege und den Anforderungen der Normen entsprachen. Die Berechnungen orientieren sich an den Normen DIN EN 1993 und DIN 18008. Die Herstellung der Stahlbauteile erfolgte nach DIN 1090-2.

Technische Herausforderung

"Löwenanprall"

Die oben erwähnte Stoßlast basiert auf Ansätzen vorhergehender Projekte. Die Bemessung erfolgte in Anlehnung an DIN 18008-4 (Glas) und DIN EN 1993-1 (Stahl). 

Eine der größten technischen Herausforderungen bestand darin, die Lastannahmen für die Zäune und Glasscheiben präzise zu berechnen. Mit seinem stolzen Gewicht übertraf dieser Löwe deutlich den Durchschnitt seiner Art und stellte damit besondere Anforderungen an die Konstruktion.

Aus dem Gewicht resultierte die Stoßkraft und weitere Parameter mussten berücksichtigt werden, unter denen die Konstruktion keinesfalls versagen durfte. Um sicherzustellen, dass die Konstruktion den extremen Belastungen standhält, wurden verschiedene spezifische Lastfälle – einschließlich des sogenannten „Löwenanpralls“ – simuliert.

Diese Lasten wurden selbstverständlich an verschiedenen maßgebenden Stellen der Konstruktion angenommen. 

Konstruk­tions­details

Glaselemente im Gehege

Die Verglasungskonstruktionen im Außenbereich des Löwengeheges bestehen aus relativ dickem Sicherheitsglas (VSG) und wurden allseits in einer robusten Stahlkonstruktion gelagert. Die Dimensionierung und Montage der Glasscheiben erfolgte gemäß den spezifischen Anforderungen des Projekts. Die Stahlrahmen bestehen aus Baustahl S235JR.

Statische Berech­nungen

Die statischen Berechnungen für das Projekt wurden mithilfe eines Finite-Elemente-Programms durchgeführt. Dieses Programm ermöglicht es, die Verformungen und Spannungen zu ermitteln.

Die Berechnungen umfassten verschiedene Lastfälle, einschließlich der ständigen Lasten, der Nutzlasten und der ungewöhnlichen Lasten durch den Löwenanprall. (Dynamischer Stoß durch den Löwen an verschiedenen/maßgebenden Stellen der Konstruktion). Die Ergebnisse der Berechnungen zeigten, dass die Konstruktionen den Anforderungen entsprachen und die erforderlichen Sicherheitsreserven einhielten.

Die Finite-Elemente-Methode

Eine kleine Einführung zur Finite-Elemente-Methode:

Die Finite-Elemente-Methode (FEM) ist ein numerischer Lösungsansatz für komplexe Probleme, die mit herkömmlichen Statikprogrammen nicht berechnet werden können. Dabei wird die gesamte Struktur in viele kleine, einfache Flächen, die sogenannten “Finite Elemente”, unterteilt.

Durch eine numerische Analyse jeder dieser Flächen und das Zusammenfügen der Ergebnisse kann eine präzise Lösung für die gesamte Struktur berechnet werden.

Zusammenarbeit

Metallbauer

Die enge Zusammenarbeit zwischen dem Metallbauer und dem Bundesverband Metall war für dieses außergewöhnliche Projekt aus mehreren entscheidenden Gründen von großer Bedeutung:

Klärung von Normen und Richtlinien: In einem Projekt, bei dem die üblichen Normen und Lastansätze nicht direkt anwendbar waren, war es entscheidend, eine fachkundige Beratung zu haben. Der Bundesverband Metall konnte hier durch seine Expertise und den Zugang zu spezifischem Fachwissen unterstützend wirken. 

Fachliche Expertise und Erfahrungsaustausch: Der Verband verfügt über umfangreiche Erfahrungen aus ähnlichen Projekten und konnte Best Practices sowie erprobte Lösungsansätze einbringen. Durch die Zusammenarbeit konnten innovative Ansätze für die Berechnung von Lastfällen, wie dem „Löwenanprall“, entwickelt und validiert werden. 

Netzwerk und Ressourcen: Der Bundesverband Metall fungiert als zentrale Anlaufstelle für technische Anfragen und bietet Zugang zu einem breiten Netzwerk von Experten. Dies ermöglichte es dem Metallbauunternehmen, schnell und effizient auf technisches Know-how und spezialisierte Software-Tools zuzugreifen, die für die Durchführung der komplexen statischen Berechnungen notwendig waren.

Sicherstellung der Qualität: Durch die enge Abstimmung mit dem Bundesverband Metall konnte sichergestellt werden, dass die geplanten Konstruktionen nicht nur den spezifischen Anforderungen des Projekts entsprachen, sondern auch den geforderten Qualitäts- und Sicherheitsstandards. Der Verband unterstützte dabei, die richtigen Materialien auszuwählen und die korrekten Fertigungsmethoden anzuwenden, um die langfristige Zuverlässigkeit und Sicherheit der Absperrungen zu gewährleisten.

Dokumentation und Nachweisführung: In einem so anspruchsvollen Projekt ist die Dokumentation der Berechnungen und technischen Entscheidungen von zentraler Bedeutung. Der Bundesverband Metall konnte dabei helfen, die erstellten Unterlagen zu überprüfen und sicherzustellen, dass sie den Anforderungen für behördliche Genehmigungen und mögliche spätere Überprüfungen entsprechen.

Fazit und Ausblick

Das Projekt zur Errichtung des neuen Löwengeheges stellte hohe Anforderungen an die Planung und Ausführung der Absperrungen aus Metall und Glas. Dank der sorgfältigen Berücksichtigung der Normen, der präzisen statischen Berechnungen und der engen Zusammenarbeit aller Beteiligten konnte eine sichere und langlebige Konstruktion realisiert werden.

 

Planen auch Sie ein außergewöhnliches Projekt?

Auch wenn es kein Löwengehege ist: Für alle Projekte ist es wichtig, frühzeitig Klarheit über die anzuwendenden Normen und Lastannahmen zu gewinnen. Als Metallbauunternehmen können sie sich ebenfalls an den Metallverband wenden, um (anspruchsvolle) Projekte erfolgreich umzusetzen. Wir unterstützen Sie gerne! 

Haben Sie Fragen?

Kontaktieren Sie unseren Ansprechpartner

Dipl.-Ing.- Jeyagumaar Nisanthan

Qualifizierter Tragwerksplaner, Statik und Konstruktion

Technische Beratungen, Ausführungsstatiken für Metallbau- und Glasprojekte, Seminare

0201 89619-37
nisanthan.wbg@metallhandwerk.de

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